Das ärztliche Rezept: To be or not to be digital

Wir beleuchten die Vorteile eines E-Rezeptes und ab wann dieses in der Schweiz einsetzbar ist.

 

 

Seit September 2022 müssen Apotheken in Deutschland ein elektronisches Rezept (E-Rezept) einlösen können. Was in Deutschland noch nicht ganz reibungslos funktioniert, ist in anderen europäischen Ländern schon seit mehreren Jahren etabliert [1,2]. Auch in der Schweiz ist insbesondere im Bereich der telemedizinischen Betreuung von Patientinnen und Patienten das Bedürfnis gewachsen, Rezepte elektronisch an eine Apotheke zu übermitteln. Immerhin geben im Swiss eHealth Barometer 35% der befragten Arztpraxen an, Rezepte den Apotheken auf elektronischem Wege zukommen zu lassen [3].

Der Bund hat mit der Revision des Heilmittelgesetzes die Minimalanforderungen an ein elektronisches Rezept festgelegt. Damit sollen auch im EPD Rezepte standardisiert abgelegt und abgerufen werden können. Dies hat jedoch einen Haken: Gemäss Arzneimittelverordnung müssen Rezepte in Papierform eigenhändig unterschrieben sein. Die elektronische Form bedingt eine qualifizierte Signatur oder eine Übermittlung, welche die Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur erfüllt. Weiterhin kann mit der derzeitigen technischen Infrastruktur des EPD keine Logik für die Validierung von Rezepten umgesetzt werden. Somit sind Lösungen zu suchen, mit denen ein Rezept mit einer rechtskonformen Unterschrift versehen und im EPD abgelegt werden kann.

Mit dem E-Rezept versprechen sich Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker Vorteile gegenüber einer Papierlösung. So ist ein häufig erwähntes Argument für das E-Rezepte die verbesserte Lesbarkeit von Rezepten [4]. Ein weiteres Argument ist die Vermeidung von Rezeptmissbrauch. Schliesslich soll mit dem E-Rezept die Adhärenz oder Therapietreue der Patientinnen und Patienten verbessert werden können [5]. Um es gleich vorwegzunehmen: Für viele der genannten Vorteile gibt es heute gut funktionierende Prozesse und Schutzmechanismen. Beispielsweise werden zunehmend Rezepte mit dem Praxissoftwaresystem ausgestellt und ausgedruckt oder mittels sicheren E-Mail versendet und somit wird die Lesbarkeit erhöht. Auch werden in Schweizer Apotheken effektive Massnahmen wie Bezugssperren für Betrüger eingesetzt, um dem Missbrauch vorzubeugen.

Was sind nun die Vorteile eines E-Rezepts für Patientinnen und Patienten wie auch die abgabeberechtigten Gesundheitsfachpersonen?
Steht ausschliesslich die Digitalisierung des Rezepts in Papierform im Vordergrund, kann ein E-Rezept nicht punkten. Der Mehrwert eines E-Rezepts liegt vielmehr in der Weiter- und Wiederverwendung von strukturierten Medikationsdaten, welche die Grundlage für die Unterstützung eines gesamtheitlichen Medikationsprozesses bilden. Die Mehrwerte für Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker sind unter anderem:

  • Kontrolle über das Rezept einschliesslich der Rückmeldung bei einer Einlösung
  • Wiederverwendung der einmal erfassten Daten für den Medikationsplan
  • automatische Kontrollen
  • Vorbezug und/oder Übermittlung des verspäteten Rezeptes
  • Vereinfachung von Teilbezügen oder die 
  • Unterstützung von Abrechnungsprozessen


Diese können nur dann effizient umgesetzt werden, wenn die Eingabe und Weiterverwendung einschliesslich der Mehrwert-Dienste in die Primärsysteme «nahtlos» integriert sind. Sobald Medikationsdaten händisch zwischen den Primärsystemen und den Mehrwert-Diensten übertragen werden müssen oder gar Medienbrüche entstehen, ist nicht nur die Bearbeitung zeitaufwändig, sondern auch anfällig für Übertragungsfehler.

Warum machen sich die Verbände FMH und pharmaSuisse für E-Rezept stark?
Der Medikationsprozess ist ein wichtiger Anwendungsfalls für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Sowohl innerhalb der Ärzteschaft als auch in der Bevölkerung stossen digitale Anwendungen zur Verbesserung und Unterstützung der korrekten Medikamenteneinnahme auf grosses Interesse [6]. FMH und pharmaSuisse engagieren sich dafür, eine einheitliche und rechtskonforme Lösung in der Schweiz einzusetzen. Diese Lösung muss so ausgestaltet sein, dass sie die Anforderung der Arzneimittelverordnungen hinsichtlich der elektronischen Signatur erfüllt aber auch im EPD genutzt werden kann. Nur ein einheitliches E-Rezept wird nach Auffassung der Verbände von der Bevölkerung wie auch von den abgabeberechtigten Gesundheitsfachpersonen akzeptiert. Mit dem E-Rezept möchten die Verbände die Digitalisierung im Gesundheitswesen in einem wesentlichen Bereich, der Medikation, fördern.

Wie funktioniert das E-Rezept von FMH und pharmaSuisse?
Das E-Rezept von FMH und pharmaSuisse setzt auf den Standard HL7-FIHR und einem Austauschformat, welches mit dem EPD kompatibel ist. Ausgestellt wird das E-Rezept in der Praxissoftware oder einer Webapplikation und mit der persönlichen HIN Identität des Ausstellers signiert. Das Ergebnis ist ein QR-Code, der alle Rezeptdaten sowie die Signatur des Ausstellers enthält. Der QR-Code kann dem Patienten auf Papier ausgedruckt mitgegeben, per Secure-Mail an den Patienten oder die (Versand-) Apotheke gesendet, oder im EPD bereitgestellt werden. Eingelöst wird das E-Rezept in der Apotheke, indem der QR-Code des E-Rezept mit dem bestehenden Barcode-Scanner eingescannt wird. Dabei wird das E-Rezept ausgelesen und die Angaben können in die Apothekensoftware übernommen werden. Anhand der Signatur kann die Apotheke die Gültigkeit des Rezepts jederzeit überprüfen, es validieren, die Verschreibung ausführen und das Rezept vollständig oder zum Teil entwerten. Hierzu erhält jedes ausgestellte E-Rezept eine nicht auf den Patienten rückführbare eindeutige Identifikationsnummer, die zusammen mit Transaktionsdaten zentral gespeichert werden. In keinem Fall werden personenbezogene Daten zentral gespeichert.

Wann ist das E-Rezept in der Schweiz verfügbar?
Das E-Rezept der Verbände ist bereits heute technisch einsetzbar. Damit es schweizweit genutzt werden kann, muss es in allen Apotheken in der Schweiz eingelöst werden können. Nur so ist die Wahlfreiheit für Patientinnen und Patienten gegeben, die im Heilmittelgesetz verankert ist. Aktuell finden in verschiedenen Regionen Pilotprojekte statt, in denen die Verbandslösung erprobt und stetig weiterentwickelt sowie verbessert wird. Die Pilot-Verbandslösung nutzt die Signaturenlösung HIN Sign und die Medikationssoftware Documedis und setzt auf den Standard CHMED16A, der durch den Verein IG eMediplan gepflegt wird [7]. Die Verfügbarkeit und die Benutzerfreundlichkeit sind Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche und flächendeckende Einführung des E-Rezepts. Designprobleme können nicht nur neue Arten von Fehlern erzeugen sondern auch zum Abbruch der Nutzung des E-Rezepts führen [8]. Parallel dazu müssen die Anliegen und Bedürfnisse alle am Medikationsprozess direkt oder indirekt beteiligten Organisationen und Verbände abgeholt werden. Dies benötigt Zeit.

Zur Person
Reinhold Sojer ist Leiter Abteilung Digitalisierung/eHealth der FMH.

Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH
Elfenstrasse 18
3006 Bern
Telefon 031 359 11 11
info@fmh.ch
www.fmh.ch

 

Quellenverzeichnis
[1] L. Patrao, R. Deveza, and H. Martins, “PEM-A New Patient Centred Electronic Prescription Platform,” Procedia Technol., vol. 9, pp. 1313–1319, 2013, doi: https://doi.org/10.1016/j.protcy.2013.12.147
[2 ]M. Sääskilahti, A. Ojanen, R. Ahonen, and J. Timonen, “Benefits, Problems, and Potential Improvements in a Nationwide Patient Portal: Cross-sectional Survey of Pharmacy Customers’ Experiences.,” J. Med. Internet Res., vol. 23, no. 11, p. e31483, Nov. 2021, doi: 10.2196/31483
[3] L. Golder, “Swiss eHealth Barometer 2021,” 2021. [Online]. Available: https://www.gfsbern.ch/wp-ontent/uploads/2021/06/213111_ehealth_schlussbericht_gesundheitsfachpersonen-und-akteure-des-gesundheitswesens. pdf
[4] T. A. Meyer, “Improving the quality of the order-writing process for inpatient orders and outpatient prescriptions.,” Am. J. Heal. Pharm. AJHP Off. J. Am. Soc. Heal. Pharm., vol. 57 Suppl 4, pp. S18-22, Dec. 2000, doi: 10.1093/ajhp/57.suppl_4.S18
[5] D. Aluga, L. A. Nnyanzi, N. King, E. A. Okolie, and P. Raby, “Effect of Electronic Prescribing Compared to Paper-based (Handwritten) Prescribing on Primary Medication Adherence in an Outpatient Setting: A Systematic Review.,” Appl. Clin. Inform., vol. 12, no. 4, pp. 845–855, Aug. 2021, doi: 10.1055/s-0041-1735182
[6] V. Pfeiffer and R. Sojer, “«There is an App for That»: Zukunft oder a¨rztlicher Alltag?,” Schweizer Ärztezeitung, vol. 103, no. 31–32, pp. 962–965, 2022
[7] eHealth Suisse, “eMedication in the context of the Electronic Patient Record,” 2020. Accessed: Oct. 12, 2022. [Online]. Available: https://www.ehealth-suisse.ch/fileadmin/user_upload/Dokumente/E/report-medicationarchitecture-epr.pdf
[8] A. Porterfield, K. Engelbert, and A. Coustasse, “Electronic prescribing: improving the efficiency and accuracy of prescribing in the ambulatory care setting.,” Perspect. Heal. Inf. Manag., vol. 11, no. Spring, p. 1g, 2014

 

Fachartikel